Quercetin
Beschreibung
Das im Pflanzenreich weit verbreitete Quercetin ist der in quantitativer Hinsicht bedeutendste Vertreter der Flavonoide. Quercetin ist in vielen häufig verzehrten Nahrungsmitteln enthalten, wie z.B. in Äpfeln, Küchenzwiebeln, Tee, Beeren und Kohlgemüse, sowie in einer Vielzahl von Pflanzensamen, Nüssen, Blüten, Rinden und Blättern. Quercetin ist auch in zahlreichen Arzneipflanzen wie z.B. Ginkgo biloba, Hypericum perforatum (Johanniskraut), Sambucus canadensis (Holunder) u.v.a. zu finden und hat häufig erheblichen Anteil an der Heilwirkung dieser Pflanzen. In experimentellen Studien wurde nachgewiesen, dass Quercetin in vielfältiger Weise auf den menschlichen Organismus wirkt.
Alle Flavonoide weisen dieselbe chemische Grundstruktur auf. Sie besteht aus drei Ringen mit angebundenen Hydroxyl(OH)-gruppen. Durch zahlreiche weitere Substitutionen entsteht die große Vielfalt der Flavonoide. In Nahrungsmitteln kommen Flavonoide häufig in Form von Glykosiden vor, d.h. sie besitzen am mittleren Ring C ein Zuckermolekül (Rhamnose, Glukose, Galaktose etc.). Quercetin ist das Aglykon (d.h. die Substanz ohne das jeweilige Zuckermolekül) einer Anzahl weiterer Flavonoide, wie z.B. Rutin, Quercitrin, Isoquercitrin und Hyperosid. Diese Substanzen sind strukturchemisch weitgehend identisch mit Quercetin, enthalten aber im Unterschied zu diesem an Stelle einer der Hydroxylgruppen am Ring C ein spezifisches Zuckermolekül, das ihre biochemische Aktivität entscheidend verändert. In Vergleichsstudien zur Wirksamkeit der Flavonoide wurde festgestellt, dass andere Vertreter dieser Substanzgruppe häufig ähnliche Wirkungen aufweisen wie Quercetin, dass Quercetin aber in der Regel am stärksten wirksam ist.
Quercetin hat zahlreiche positive Wirkungen auf die Gesundheit des Menschen. Es schützt z.B. das Herz-Kreislauf-System, wirkt der Entstehung von Karzinomen und Ulzerationen entgegen, verhindert allergische Reaktionen, beugt der Kataraktentwicklung vor und wirkt antiviral und antiinflammatorisch.
Wirkmechanismen
In der Regel haben die Flavonoide antioxidatives Potential. Auch die Wirkungen von Quercetin scheinen zum Teil auf seinen antioxidativen Eigenschaften zu beruhen. Quercetin wirkt als Radikalfänger (1,2) und hemmt in vitro die Xanthinoxidase (3) und die Lipidperoxidation (4). Ein weiterer Beweis für diese antioxidative Wirkung ist die Tatsache, dass Quercetin in vitro die Oxidation von LDL-Cholesterin hemmt. Dies geschieht wahrscheinlich durch die direkte Hemmung der LDL-Oxidation, möglicherweise aber auch, indem es das in die LDL-Partikel eingelagerte Vitamin E vor Oxidation schützt oder bereits oxidiertes Vitamin E regeneriert (5). Allein oder in Verbindung mit Ascorbinsäure senkte Quercetin die Inzidenz oxidativer Schäden an neurovaskulären Strukturen in der Haut und verhinderte die Schädigung von Neuronen durch eine experimentell herbeigeführte Entleerung der Glutathionspeicher. (6)
Die antiinflammatorische Wirkung von Quercetin scheint auf seinen antioxidativen Eigenschaften und auf der Hemmung entzündungsfördernder Enzyme (Zyklooxygenase, Lipoxygenase) sowie auf der anschließenden Inhibition der Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie z.B. Leukotrienen und Prostaglandinen zu beruhen. (7,8) Auch die Hemmung der Histaminfreisetzung aus Mastzellen und Blutbasophilen trägt zur entzündungshemmenden Wirkung von Quercetin bei. (9,10)
Das Enzym Aldosereduktase, das die Umwandlung von Glukose zu Sorbitol katalysiert, spielt eine besonders wichtige Rolle im Auge, wo es an der Entstehung diabetischer Katarakte beteiligt ist. Quercetin ist ein starker Inhibitor der Aldosereduktase in der menschlichen Linse.(11)
Quercetin weist eine antivirale Wirksamkeit gegen die Reverse Transkriptase des HI-Virus und anderer Retroviren auf. Auch konnte nachgewiesen werden, dass es die Infektiosität von Herpes-simplex-Viren Typ 1, Polioviren Typ 1, Parainfluenzaviren Typ 3 und Respiratory-Syncytial-Viren (RS-Viren) reduziert und die intrazelluläre Replikation dieser Viren hemmt. (12)
Im Anschluss an erste Studien zu Quercetin wurde berichtet, dass die Verabreichung dieser Substanz bei Ratten zu einer erhöhten Inzidenz von Harnblasentumoren geführt habe. Spätere Studien an Ratten, Mäusen und Hamstern konnten jedoch die angebliche Karzinogenität von Quercetin nicht bestätigen (13,14). Vielmehr belegt die Mehrzahl neuerer Untersuchungen, dass Quercetin antikarzinogen auf viele Arten von Krebszellen wirkt. Dies gilt für Brustkrebs (15-17), Leukämie (18,19), Kolonkarzinom (20), Ovarialkarzinom (21,22), Plattenepithelkarzinom (23), Endometriumkarzinom (21), Magenkarzinom (24) und nicht-kleinzelliges Bronchialkarzinom (25).
Klinische Anwendungsgebiete
Allergien: Angesichts der stabilisierenden Wirkung von Quercetin auf die Mastzellen liegt es nahe, die Substanz zur Unterdrückung der Histamin-Freisetzung bei Allergikern einzusetzen, ähnlich wie das synthetische Flavonoid-Analogon Cromolyn-Na. In reiner Form wird das Aglykon Quercetin schlecht resorbiert (siehe unten). Möglicherweise beruht jedoch seine antiallergische Eigenschaft zum großen Teil auf seiner antiphlogistischen und antihistaminischen Wirkung im Darm.
Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen: Als wichtigste kardiovaskuläre Effekte von Quercetin sind seine antioxidative und antiinflammatorische Wirkung sowie seine Fähigkeit zur Hemmung der Thrombozytenaggregation ex vivo zu nennen. (26) In der "Zutphen Elderly Study" wurden die Flavonoidzufuhr mit der Nahrung und das Risiko einer Erkrankung an koronarer Herzkrankheit (KHK) untersucht. Es zeigte sich eine signifikante inverse Korrelation zwischen KHK-bedingter Mortalität und aufgenommener Flavonoidmenge. Bei denjenigen Probanden, die in dieser fünfjährigen Follow-up-Studie an Männern von 65 bis 84 Jahren das Viertel mit der höchsten Flavonoidzufuhr bildeten, betrug das relative Risiko 0,42 im Vergleich zu dem Viertel mit der geringsten Flavonoidzufuhr. Besondere Beachtung verdient dabei die Tatsache, dass die in dieser Studie am häufigsten verzehrten flavonoidhaltigen Nahrungsmittel (Tee, Zwiebeln, Äpfel) besonders reich an Quercetin sind. (27) In einer Kohorte derselben Studie bestand eine umgekehrte Korrelation zwischen der Flavonoidzufuhr mit der Nahrung (hauptsächlich Quercetin) und der Apoplexhäufigkeit. (28)
Entzündungen: Quercetin ist bei allen entzündlichen Erkrankungen indiziert, da es die Bildung entzündungsfördernder Prostaglandine und Leukotriene sowie die Freisetzung von Histamin hemmt. Besonders günstig wirkt sich dies bei Asthma aus, denn Leukotrien B4 ist ein stark wirksamer Bronchokonstriktor. Die Hemmwirkung von Quercetin auf die Xanthinoxidase reduziert die Harnsäurebildung und kann zur Behandlung der Gicht genutzt werden.
Antiulzerative/gastroprotektive Wirkungen: In Tierstudien konnte gezeigt werden, dass Quercetin den Magen vor alkoholbedingten Ulzera schützt. Dies beruht wahrscheinlich auf seiner hemmenden Wirkung auf die Lipidperoxidation der Magenzellen (29.30) und/oder seiner dämpfenden Wirkung auf die Magensaftsekretion (31). Einen interessanten Aspekt bei der antiulzerativen Wirkung von Quercetin bildet die Tatsache, dass die Substanz in vitro das Wachstum von Helicobacter pylori in dosisabhängigem Ausmaß hemmt (31).
Malignome: Wie bereits erwähnt, wurde die Wirkung von Quercetin in verschiedenen Tiermodellen und an humanen Karzinomzelllinien untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass Quercetin antiproliferativ wirkt. Darüber hinaus verstärkt es möglicherweise die Wirksamkeit von Chemotherapeutika (21,22). Es ist notwendig, auf diesem Gebiet mehr klinisch orientierte Forschung zu betreiben, um die wirksamen Dosierungsbereiche und -schemata zu ermitteln.
Diabetische Komplikationen: Aufgrund seiner Hemmwirkung auf die Aldosereduktase kann Quercetin bei Diabetikern sinnvoll zur Ergänzung einer Supplementationsbehandlung eingesetzt werden, um Katarakten und neurovaskulären Komplikationen vorzubeugen.
Virusinfektionen: Quercetin verspricht einen erfolgreichen Einsatz bei Virusinfektionen. Allerdings basiert keine der einschlägigen Untersuchungen zu diesem Punkt auf klinischen Beobachtungen. Dennoch ist eine quercetinreiche Ernährung oder eine Nahrungsergänzung mit reinem Quercetin bei Virusinfekten anzuraten.
Pharmakokinetik
Zur Resorption von Quercetin liegen nur wenige klinische Untersuchungen vor. Offenbar wird nach einmaliger oraler Verabreichung nur ein geringer Anteil der Dosis resorbiert. (32) Eine Studie ergab sogar eine Resorptionsrate von lediglich zwei Prozent. Eine neuere Studie zur Resorption bei "gesunden" Ileostomie-Patienten ergab einen resorbierten Anteil von 24 Prozent für das reine Aglykon bzw. von 52 Prozent für Quercetin-Glykoside aus der Zwiebel. (33) Die Probanden wurden jedoch nicht auf ihre intestinale Permeabilität untersucht. Daher sind die Ergebnisse möglicherweise nicht verlässlich. Quercetin wird im Darm bakteriell abgebaut und in Phenolsäuren umgewandelt. Nach der Resorption wird Quercetin an Albumin gebunden und in die Leber transportiert, wo es teilweise methyliert, hydroxyliert oder konjugiert werden kann. (34)
Dosierung
In der klinischen Praxis wird meist eine orale Dosis von 400-500 mg dreimal täglich verabreicht. Da die Löslichkeit für die Resorption von Bedeutung ist (34), kann das in den USA patentierte wasserlösliche Quercetin-Präparat Quercetinchalkon niedriger dosiert werden; üblich ist eine Dosierung von 250 mg dreimal täglich.